„Alle Verbrechen sind auch vor dem Erfolg der Tat, soweit genug Schuld besteht, ausgeführt.“ – Seneca d .J., Über die Standhaftigkeit des Weisen, VII, 4

Vielleicht ist es kein Zufall, dass die Verwendung des Schuldbekenntnisses im Rahmen der römisch-katholischen Liturgietradition seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil fakultativ ist: Mag man den Status der westlich orientierten post-Industriegesellschaft, in der wir leben, bewerten, wie man will, ihr wird fast uneingeschränkt zugestanden, dass sie dem Individuum ein hohes Maß an persönlicher Freiheit zugesteht. So scheint es nachvollziehbar, das Eingeständnis der Schuld aus dem Kollektiven ins Private zu verbannen. Fasse ich Schuld als persönliche oder als gemeinschaftliche Kategorie auf?
Als Überlegung über die Vorhersehbarkeit des Verbrechens bedingt The Minority Report auch die Überlegung über Schuld. Wo liegt die Verantwortung im Falle eines vorhersehbaren Verbrechens? Auf Seiten des Beschuldigten, der die Tat plant, oder auf Seiten der Behörde, die die Tat nicht verhindert?
Bleiben wir dazu zunächst bei der christlichen Liturgie: „Agnus Dei, qui tollis peccata mundi“ (Lamm Gottes, der du trägst die Sünden/Schuld der Welt), wird in der römisch-katholischen Eucharistiefeier nach dem Friedensgruß gebetet. Ein klassischer Grundgedanke: Christus, das Lamm Gottes, wird durch das Übernehmen der Schuld der Menschen zum Erlöser. Die Lektüre seiner späteren Werke legt die Auffassung nahe, dass bei Philip K. Dick ein grundsätzliches Interesse an der Konstruktion von Erlösungsfantasien besteht: Der Schlüssel zum Verständnis menschlicher Existenz und demzufolge auch menschlicher Schuld liegt demnach nicht primär im Individuum selbst, sondern in seiner Fähigkeit, ein übermenschliches Agens (Gott/Valis) zu erkennen – eine Entität, die letzten Endes fähig ist, Verantwortung zu übernehmen.
Unter dieser Prämisse lässt sich The Minority Report als Versuch einer Institutionalisierung des erlösenden Lammes lesen: „If we let one criminal escape (…) we’ve got a human life on our conscience. We’re solely responsible.” (S. 326), meint John Anderton am Beginn der Kurzgeschichte und umreißt damit eine grundsätzliche Funktion, die Precrime in Dicks Post-World-War-III – Welt ausfüllt. Die letztendliche Verantwortung („solely responsible“!) liegt nicht beim Individuum, sondern bei der Institution. Indem die story der Kurzgeschichte den Konflikt auf die Ebene der um die Macht im Staat rivalisierenden Verwaltungsebenen transferiert (und damit auch reduziert), verhandelt Dick dieses Problem auch diskursiv nicht weiter: Es ist egal, ob das Militär oder Precrime die Macht über das System ausübt, die Schuldfrage bleibt in jedem Fall ein kollektiv und nicht persönlich zu verhandelndes Phänomen.
Dass diese Sichtweise die Frage nach der Verortung von Schuld nicht beantworten kann, ist Dick durchaus bewusst: „We claim they’re culpable. They, on the other hand, eternally claim they’re innocent. And, in a sense, they are innocent.“ (S. 324) Indem (der Autor) Philip K. Dick seine Karten bereits in den ersten Zeilen der Kurzgeschichte offen legt und zu erkennen gibt, dass das Dilemma zwischen Verantwortung und Vorhersehbarkeit der Schuld für ihn nicht auflösbar ist, fällt ihm für den Rest der Geschichte lediglich die Aufgabe zu, die Funktionsweisen und Paradoxien des gesamten Vorhersehungsprozesses schrittweise zu entschlüsseln und nicht, dieses Problem weiter zu verhandeln. Auch die Auflösung der Geschichte bleibt ironisch-resignativ: Letzten Endes kann Anderton seinem Nachfolger nur raten, die Augen für die Wiederholung dieses Falles offen zu halten: „It could happen again – (…) So watch your step.“ (S. 353)
So lässt auch Dicks Wortwahl im ersten Kapitel der Kurzgeschichte einen durchaus breiten Interpretationsraum hinsichtlich der tatsächlichen Natur der zu begehenden Verbrechen: Die von Precrime Verhafteten werden zunächst in Erwartung ihres Verbrechens als „individuals who have broken no law“ (S. 324), auf ihrer Karte als „accused future murderers“ (S. 327) und (nur im Zusammenhang mit der Eventualität eines Entkommens!) als „criminals“ (S. 326) bezeichnet. Dazwischen benutzt Dick eine Bezeichnung, die es sich näher zu betrachten lohnt: Als „culprit“ (S. 326) kann nämlich laut Oxford Dictionary sowohl „he who is arraigned for a acrime or offence; the accused(!)“ als auch „an offender, one guilty(!) of a fault or offence“ bezeichnet werden.
Dass das Wort „culprit“ selbst eine erst durch Schlampereien in der Gerichtssprache entstandene Verschmelzung von „culpabilis“ (schuldig) und „prit/prist“ (franz. schnell) ist und heute in beiden oben genannten Bedeutungen verwendet wird, trägt weiter zur offenen Interpretierbarkeit von Dicks Text bei: Die alleinige Lektüre der Kurzgeschichte selbst beantwortet die Frage nach der Verortbarkeit von Schuld nicht, sondern bietet vor allem eine dystopisch-ironische Sichtweise auf ein System, das in voreiligem Gehorsam die Schuld des Einzelnen auf sich nimmt und dadurch erst Kollektivschuld schafft.

 

Quellen:

Dick, Philip K., The Minority Report. In: Ders., The Philip K. Dick Reader. New York: 1987, S. 323-354.

Simpson, J.A. (Hg.), The Oxford English Dictionary, Oxford: 1988

Die römisch-katholische Liturgie, am eigenen Leibe

Durch einen Zeitungsartikel (http://www.spiegel.de/kultur/kino/0,1518,216778,00.html) wurde ich aufmerksam, dass sich viele Zitate und Spuren im Film Minority Report verstecken. Ich habe mir nun ein paar davon herausgegriffen und werde hier nun darauf eingehen. In Minority Report sind einige Merkmale des Film Noir zu finden und damit möchte ich nun beginnen:

Film Noir Elemente in Minority Report

  • Low-key lightning, Schatten, Reflexionen, Spiegelungen
  • Klaustrophobische Bilder
  • Tiefenschärfe
  • Urbane Landschaft
  • Regengetränkte Umgebung (gut zu sehen in der Szene am Schluss wo Anderton und Burgess am Balkon aufeinander treffen)
  • Düstere, hoffnungslose, pessimistische Grundstimmung
  • „Antiheld“ (Anderton ist nicht frei von Fehlern, er nimmt Drogen und hat psychische Probleme, Anderton agiert als Einzelgänger und handelt nicht immer legal)
  • Themen (oft werden im Film Noir Themen wie Mord, Verschwörung etc. behandelt)

Minority Report und Blade Runner

Auch sind einige Parallelen zum Film Blade Runner zu erkennen, der ebenfalls auf einer Erzählung von Philip K. Dick basiert.

  • Darstellung des Helden: in beiden Filmen findet man einen „Antiheld“
  • Film Noir Merkmale sind in beiden Filmen vorhanden
  • Motiv des Auges: Anderton tauscht seine Augen aus um nicht mehr erkannt zu werden, in Blade Runner können Replikanten durch eine Maschine die ihre Pupillen scannt entlarvt werden, auch beginnen sie ihre Suche nach Identität und Geschichte bei dem Mann der ihre Augen herstellt
  • Untersuchung eines Bildes/Photos: In Blade Runner untersucht Deckard ein Photo mit der sogenannten Esper-Maschine. Dies ist ein hochempfindlicher Computer mit einem dreidimensionalen Auflösungssystem über welches ein Raster gelegt ist. Er kann damit den Raum vergrößern und analysieren – eben auch im dreidimensionalen Sinn und kann den Raum erfassen ohne jemals dort gewesen zu sein. So entdeckt er einen weiteren Replikanten. In Minority Report werden auch ständig die Bilder der Visionen der Precogs untersucht – sie werden angehalten, vergrößert vor- und zurückgespult. Vorallem die Bilder von dem Mord den Anderton begehen soll werden gründlich unter die Lupe genommen. So zum Beispiel entdeckt Wittwer, dass Anderton Agatha mitnimmt.

Das Perfekte Verbrechen

In Minority Report dreht sich viel um das perfekte Verbrechen. Gibt es überhaupt ein perfektes Verbrechen, vor allem in einer mordfreien Welt wie dieser des Films, oder kann genau ein solches schlussendlich das System stürzen? Wer klärt ein perfektes Verbrechen auf, ein noch perfekterer Detektiv?

Doch nicht nur durch die Handlung offenbart sich eine Parallele zu bekannten Kriminalgeschichten. Die Namen der drei Precogs sind ebenso die Vornamen berühmter Autoren von Kriminalgeschichten. Arthur – so lautet auch der Vorname von Arthur Conan Doyle, dem Verfasser von Sherlock Holmes. Dashiell – Dashiell Hammett mit seiner bekannten Figur Sam Spades. Und Agatha – Agatha Christie mit Miss Marple oder Hercule Poirot.

Minority Report und das Orakel von Delphi

Das Orakel von Delphi ist wohl jedem bekannt. Die Vorhersagen der Pythia waren oft unverständlich und mehrdeutig. Eigenen Priester wurden bestimmt um diese Aussagen zu deuten und quasi zu übersetzen und sie verständlich zu machen. Die schlussendliche Auslegung der Weissagungen aber wurden dem Fragenden dann selbst überlassen. In Minority Report werden ebenfalls die einzelnen Bilder und Vorhersagen der Precogs analysiert zum Beispiel von Anderton. Er bringt die Bilder schließlich in einen Zusammenhang und deutet sie, um so seine eigene Zukunft und sein Schicksal zu erfahren. Das System scheint perfekt, wenn Fehler passieren dann durch den Menschen der wohl nie ganz perfekt sein kann. Dies könnte auch in Minority Report der Fall sein.

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Quellen:

http://www.spiegel.de/kultur/kino/0,1518,216778,00.html

http://www-e.uni-magdeburg.de/ruge/filmanalyse/noir/einl/merkmale.html

http://www.meinebibliothek.de/Texte5/html/delphi.html

Nitsch, Martina : “Blade Runner “ / eingereicht von Martina Nitsch , 1995 . – 165 Bl

Utopie oder Dystopie?

Juni 15, 2009

Ein perfektioniertes Gesellschaftssystem durch Überwachung – Utopie oder Dystopie?

Sicherheit, kein Grund zur Angst vor Kriminalität, exakte Verbrechensvorbeugung und- aufklärung und ein Gefühl von Offenheit und Gleichheit durch maximale Öffentlichkeit in der Gesellschaft – was will man mehr? Das Opfer, dass dafür aufgebracht werden muss: ständige Überwachung. Ist das ein wirkliches Opfer? Warum klammert sich der Mensch dermaßen an sein Recht auf Privatssphäre, Individualität und einen freien Willen, wenn das Aufgeben dieser Privilegien zugunsten einer friedlichen Welt so einfach ist? Es lässt sich kaum leugnen, dass seit jeher versucht wurde, funktionierende Gesellschaftssysteme zu konstruieren und realisieren, sei es auf dem Gebiet des Rechts, der Politik oder im sozialen Bereich. Die große Angst vor vorsorglicher Kontrolle und Überwachung beruht vor allem auf dem als unvermeidbar betrachteten Auftreten des Missbrauchs oder eines Fehlers im System. Von dem Moment an entwickelt sich der gesamte Komplex von einer Utopie in eine Dystopie. Eine genaue Beobachtung und Hinterfragung der Entwicklungen ist zwingend erforderlich, jedoch sollte eine Hysterisierung des Themas vermieden werden.; auch wenn offensichtlich ist, dass viele der technischen Überwachungsmöglichkeiten bereits gegeben, wenn nicht sogar eingesetzt werden, bleibt die in Minority Report beschriebene Welt eine aus einem ambivalenten Verhältnis zwischen Utopie und Dystopie bestehende fiktive Zukunftsvision. „Am Anfang des 21. Jahrhunderts lassen sich die enormen Auswirkungen dieses Wandels, der real gerade erst einzusetzen beginnt, und seine Gesamtbedeutung noch sehr schwer abschätzen; deshalb überwiegen spekulative Verklärungen und kulturkritische Klagen, wie sie bislang noch bei jedem mediengeschichtlich „hervorgerufenen Kulturschock“ spätestens seit Platon und dem griechischen Theater üblich waren.“(Vgl Faulstich 2004)

 

 

Quellen:

Grundwissen Medien, Werner Faulstich (Hrsg.),München: Fink 5 2004.

Encyclopedia of New Media, Steve Jones (Hrsg.), New York: Sage Pub Inc 2003

Verrstrickungen der Personen in Film und Kurzgeschichte:

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In der Kurzgeschichte dreht sich die Story um einen Machtkampf zwischen Militär und Polizei. Im Film aber fällt das Militär weg und der Konflikt ergibt sich rund um Anderton und seinen Chef Burgess.

Die drei Precogs in der Geschichte sehen alle einen anderen Ausgang des Mordes den Anderton begehen soll. Sie nehmen jeweils Rücksicht auf den Report des vorigen Precog und verändern ihre Vision dann danach, wie Anderton reagieren würde wenn er den Ausgang bereits kennt. Die Vision des letzten Precogs (der sich eben aus den Visionen der zwei Anderen ergibt) ist schlussendlich auch der richtige. Im Film geht es primär nicht um den Mord den Anderton begehen soll, sonder um den Mord an Anne Lively, Agathas Mutter. Hier sehen die zwei männlichen Precogs den Mord voraus und er kann verhindert werden. Nur Agatha sieht etwas Anderes. Sie erkennt den Mörder ihrer Mutter, der dann tatsächlich den Mord begeht. Ihr Report wird aber nicht beachtet denn die Techniker meinen es sei ein Echo. So kann der wahre Mörder lange geheim gehalten werden.

Ich habe mir nun einige Gedanken darüber  gemacht wie die Systeme in der Kurzgeschichte und im Film funktionieren. Im Film sehen zwei Precogs denselben Mord  an Anne Lively und er kann verhindert werden. Der vermeintliche Mörder wird aus dem Weg geräumt. Aber nur Agatha sieht den tatsächlichen Mord der kurz darauf geschieht. Streng genommen müsste es ja dann neue Kugeln geben, da der Mörder nicht die Person ist, die die zwei Precogs zuvor gesehen haben. Anderer Mörder – neue Kugel. Und wieso kann überhaupt nur Agatha den wirklichen Mord sehen? Im Film und auch in der Kurzgeschichte wird betont, dass es wichtig ist drei Visionen zu erhalten. Doch diese Tat sieht nur die Frau und ihre Vision wird als Echo gewertet. Würde dies öfter vorkommen dass nur einer der drei einen Mord sieht würde das System nicht funktionieren. Minority und Majority Report wären nicht mehr möglich. Und wie schon erwähnt wird in der Kurzgeschichte und im Film auch sehr betont dass sie unbedingt mehr als einen Precog benötigen.

Auch das Ende im Film unterscheidet sich von dem der Kurzgeschichte. Bleibt in der Geschichte schlussendlich das System erhalten, da Anderton den Mord begeht wie er vorhergesagt wurde, so geschieht dies im Film nicht. Burgess kann sich entscheiden, soll das System erhalten bleiben muss er Anderton umbringen. Er tut dies nicht, sondern richtet die Waffe auf sich selbst. Das System scheitert. In der Geschichte stellt Andertons Frau ihm die Frage ob er sich wirklich für sich selbst oder für das System entscheiden will. Meiner Meinung nach ist diese Frage auch im Film vorhanden. Hier entscheidet sich Burgess schlussendlich aus persönlichen Motiven heraus und das System fällt. In der Geschichte aber begeht Anderton den Mord und erhält PreCrime dadurch.

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Empirische Studien belegen, dass die von der Bevölkerung am negativsten wahrgenommene Auswirkung von Großveranstaltungen die Überwachung durch den Staat darstellt. Das Gefühl, ständig durch Kameras und Staatsbeamte beobachtet zu werden, stellt für viele Menschen offenbar keine zusätzliche Sicherheit dar, sondern führt dazu, dass sie sich verstärkt unwohl fühlen.

Obwohl die meisten Personen keinerlei kriminelle Handlung im Schilde führen, ist Überwachung im Allgemeinen scheinbar unangenehm. Woran kann dies liegen? Ist es das Gefühl der Unfreiheit der eigenen Handlungen? Erzeugt Beobachtung Nervosität? Im Prinzip ist die Situation bei einer Großveranstaltung beispielsweise vergleichbar mit einer U-Bahnfahrt, bei der man angestarrt wird, während man liest. Davon abgesehen wird man während der alltäglichen U- Bahnfahrt natürlich auch gefilmt. Im Grunde entsteht eine Videosequenz ja bereits, wenn man das eigene Haus verlässt. Manches Mal beginnt die Aufzeichnung bereits vor der eigenen Haustür und zieht sich in einem fort, bis man seine Destination erreicht hat. Schade eigentlich, dass man selbst keinen Zugang zu dem Filmmaterial hat, das da im Laufe eines Lebens entsteht.

In Deutschland wird seit einiger Zeit über Maßnahmen diskutiert, die Bundesminister Schäuble zum Schutz der Bevölkerung vor den Gefahren des Terrorismus durchsetzen will. Von Seiten der Verbraucherschutzverbände gibt es massive Kritik an den Vorhaben, Personendaten dauerhaft zu speichern, Telefongespräche abzuhören und Personen zu überwachen. In Zeiten von Terrorgefahr und Bedrohung scheinen Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung angebracht, doch die massive Kritik an diesen Vorhaben weist eindeutig auf ein Unbehagen der Bevölkerung hin.

Fragt sich, wo all die Daten gespeichert werden und ob es zu Pflege des Überwachungsmateriales eigene Archive und Archivare gibt? In welchem Zeitrahmen wird das Material gelöscht? Wann und zu welchen Zwecken wird wirklich auf die Überwachungsdaten zurückgegriffen?

Eine negative Auswirkungen der Überwachung ist beispielsweise die zunehmende Militarisierung öffentlicher Räume, wie Schimmel (2006) sie als Folge der seit dem 11. September 2001 gestiegenen Angst vor terroristischen Anschlägen beschreibt, und der dadurch beeinträchtigten Lebensqualität der Bewohner der Austragungsorte von Großveranstaltungen. Sicherlich gibt es noch viele Begleiterscheinungen mehr.
Derartige Maßnahmen beziehen sich beispielsweise auf Technologien zum Schutz von Gebäuden, öffentlichen Transportmitteln wie U-Bahnen oder Zonen innerhalb des Stadtgebietes, auf Strategien, Personen am Betreten bestimmter Bereiche oder eines Landes zu hindern oder diese zu kontrollieren oder auf den verstärkten Einsatz von Sicherheitsbeamten (Schimmel, 2006).

Quelle:
Schimmel, K.(2006). Deep play: sports mega-events and urban social conditions in the USA. In J. Horne und W. Manzenreiter (Eds.), Sports Mega-Events. Oxford: Blackwell Publishing.

“It’s a poor sort of memory that only works backwards,” the Queen remarked. (…) “For instance, (…) there’s the King’s Messenger. He’s in prison now, being punished: and the trial doesn’t even begin till next Wednesday: and of course the crime comes last of all.”

“Suppose he never commits the crime ?” said Alice.

“That would be all the better, wouldn’t it?” the Queen said. (…)

Alice felt there was no denying that. “Of course it would be all the better,” she said: “but it wouldn’t be all the better his being punished.”

“You’re wrong there, at any rate,” said the Queen : “were you ever punished ?”

“Only for faults,” said Alice.

“And you were all the better for it, I know !” the Queen said triumphantly.

“Yes, but then I had done the things I was punished for,” said Alice : “that makes all the difference.”

“But if you hadn’t done them,” the Queen said, “that would have been better still ; better, and better, and better!“ Her voice went higher with each “better,” till it got quite to a squeak at last.

Alice was just beginning to say “There’s a mistake somewhere,” when the Queen began screaming, so loud that she had to leave the sentence unfinished. “Oh, oh, oh!” shouted the Queen, shaking her hand about as if she wanted to shake it off. „”My finger’s bleeding! Oh, oh, oh, oh!” (…)

“What is the matter?” Alice said, as soon as there was a chance of making herself heard, “Have you pricked your finger ?”

“I haven’t pricked it yet“ the Queen said, “but I soon shall oh, oh, oh!”

Lewis Carroll, Through the Looking-Glass (And what Alice found there), New York: Signet Classics 2006

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07.05.09, Wien Oper: Kampagne für die EU-Wahlen

In der Verfilmung zur Kurzgeschichte „The Minority Report“ von Philip K. Dick gehört die permanente penetrante Überwachung der Gesellschaft schon zum Alltag. Überall befinden sich Kameras und Scanner zur Iriserkennung, jeder einzelne ist mit jeglichen Informationen zur Person in der Datenbank gespeichert und die Menschen scheinen das kommentarlos hinzunehmen.

 Auf den ersten Blick wirkt diese Darstellung einer zukünftigen Gesellschaft sehr utopisch bzw. dystopisch – doch allzu weit hergeholt ist das leider nicht… Denn auch wir werden fast ununterbrochen mit den unterschiedlichsten Mitteln überwacht. Und so manch einer ist sich dessen gar nicht wirklich bewusst.

Zum Beispiel weiß jeder, dass Telefongespräche abgehört (und auch gespeichert) werden. Sobald ein signifikant auffälliges Wort fällt, steigt die Relevanz des Gesprächs- bis dann ein Mensch mithört.. Doch die wenigsten wissen darüber bescheid, dass das mit manchen neueren Modellen auch funktioniert, wenn man nicht telefoniert (alle UMTS-Handys, über die Lautsprecher). Das Gerät muss dafür nicht einmal aufgedreht sein. Außerdem können alle internetfähigen Mobiltelefone genauso gut von einem Virus befallen werden wie ein Computer. Dieser könnte dann automatisch auf alle Daten zugreifen und sie speichern.

Außerdem hat heutzutage schon fast jedes Handy eine Kamera und die neuesten sogar einen Gesichtserkennungsmodus. Mit der Software FSE (FaceSensingEngine) werden innerhalb von 115 Millisekunden die biometrischen Merkmale analysiert und vergleicht diese mit den am Handy gespeicherten Daten.

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Jedoch nicht nur mit Kameras boomt der Biometrie Markt- Der Weltmarktführer der Funketiketten (RFID), Mühlbauer AG, führt alles darauf hin den menschlichen Körper als Ausweis zu degradieren. Im Zoo in Hannover sind die Besucher mittels Gesichts- Scan identifizierbar und am Flughafen in Amsterdam (Schipol) erspart man sich zum Beispiel per Iris- Scan das Warten in der Schlange. Natürlich ist das System noch nicht ganz ausgereift….

Iris- Scan

Iris- Scan

Oder betrachten wir einmal die Kameraüberwachung- natürlich gibt es auch Simulacra, die nur abschrecken sollen, aber die meisten nehmen ständig auf (einige überspielen das Material nach ein paar Stunden wieder), hinter manchen sitzt sogar ein „Beobachter“. Wenn man erst einmal darauf achtet, ist es erschreckend, wie vielen Kameras man tatsächlich über den Weg läuft. Deutschland gehört da zu den Spitzenreitern Europas mit rund 400.000 Kameras, Österreich befindet sich zwar nur im hinteren Drittel (mit ca. 16.000), aber ein kleines Experiment soll verdeutlichen, dass das auch nicht gerade wenige sind.

Überwachungskameras- kleines Experiment:

Ich habe einfach meinen Weg (vom Burgenland nach Wien, zur Uni und noch ein bisschen weiter) mit Fotos dokumentiert. Die aussagekräftigsten Bilder habe ich hier für euch zusammengestellt:

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20.04.09, Fahrkarten Automat Parndorf Ort

 Videoüberwachung

20.04.09, im Zug nach Wien: Videoüberwachung

Tabak Trafik

20.04.09, Tabak Trafik

Raiffeisen Bank

20. 4. 09, Raiffeisen Bank

U2

07.05.09, U2

PICT1305

20.04.09, BIPA

Aber es gibt auch schon „intelligente“ Kamerasysteme, welche über die KI-Software (künstliche Intelligenz) verhaltensauffällige optische Hinweise erkennen und sogar hören soll. Das selbst lernende KI-System soll helfen Verbrechen schneller mittels Videoaufnahmen zu erfassen.

Big Brothers are watching

07.05.09, Volkstheater

Die Geräuscherkennung bildet den Anfang einer Reaktionskette. Beispielsweise würde eine Kamera auf einem Parkplatz in die richtige Richtung schwenken, wenn sie das Einschlagen eines Autofensters oder einen Schrei hört – und zwar ebenso schnell wie ein Mensch. Dann könnte die KI optisch verifizieren, ob ein Ausnahmezustand wie etwa ein Einbruch vorliegt, bevor sie einen Alarm auslöst. Durch derart gezielte Alarme könnte die Reaktionszeit von Sicherheitskräften verbessert und ihre Arbeit zielgenauer werden.

Volkstheater

07.05.09, Volkstheater

Wir bewegen uns also auf eine gläserne Zukunft zu, solange der Staat nach dem Motto „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ operiert.

Denn es ist mit den aktuellen Mitteln kein Ding der Unmöglichkeit einen Menschen jederzeit zu orten und festzustellen, mit wem er wann wo Kontakt hatte.

Manche fühlen sich dadurch aber nicht wirklich in ihrer Freiheit eingeschränkt, oder versuchen ganz einfach ihren Vorteil daraus zu ziehen. Vielleicht aus Angst, Eigennutzen oder schlichtem Desinteresse? Ich weiß es nicht, aber anscheinend wird all das aus Bequemlichkeitsgründen einfach akzeptiert

Quellen: http://www.golem.de , http://www.focus.de, http://www.datenschutz.de, http://www.innovations-report.de, http://www.taz.de/

Im Sommer 2008 fand in Österreich und der Schweiz ein internationales Großereignis statt. Die Rede ist von der Fußball Europameisterschaft. Schon im Vorfeld viel diskutiert und ständig präsent in den Medien ist diese Veranstaltung wohl fast Jedem in Erinnerung geblieben. Ein friedlicher Ablauf und vor allem Sicherheit standen für die Veranstalter, Fans und Bürger der zwei Austragungsländer im Vordergrund. Es wurde zu verschiedensten Mitteln gegriffen um dies zu gewährleisten und einige davon erinnerten mich stark an die Verbrechensprävention, wie sie in The Minority Report besteht. Fand also letztes Jahr bereits etwas von Philip K. Dick’s Zukunftsvision eines gewaltfreien Lebens, hier mitten Österreich und der Schweiz, statt? Oder waren die Sicherheitsmaßnahmen die für die Euro 08 getroffen wurden völlig gerechtfertigt und notwendig, um ein friedliches Turnier stattfinden zu lassen? Genau mit diesen Fragen möchte ich mich nun beschäftigen und das Problem der Prävention am Beispiel der Fußball Europameisterschaft 2008 aufzeigen.

Bei meiner Recherche im Internet bin ich zu erst auf einige Zeitungsartikel gestoßen in denen der Einsatz von so genannten „Drohnen“ während der EM diskutiert wurde. So lautet eine Beschreibung dieser auf orf.at: „Die Flugdrohne sieht wie ein Spielzeug aus, ist aber ein High-Tech-Überwachungsflieger. Sie schafft bis zu 500 Meter Höhe. Die Drohne kann ferngesteuert werden, aber auch mit GPS-Hilfe von ganz allein auf einer Position in der Luft stehen. Sie lässt sich extrem nah an Gebäude heran fliegen und überträgt mit einer Kamera die Bilder auf einen Monitor am Boden.“ drohne_luft153_small(http://salzburg.orf.at/stories/206419, 16.07.2007) Allerdings ist das Filmen von Personen in Österreich nur eingeschränkt erlaubt. In der Schweiz kamen genau diese Drohnen jedoch zum Einsatz. Die Kantone konnten selbst entscheiden wann und wie oft sie die Überwachung aus der Luft zum Einsatz brachten. Das Videomaterial wurde jedoch nicht aufbewahrt. (Vgl.:http://www.news.ch/Die+Drohnenfluege+ueber+den+Host+Cities/313336/detail.htm, 02.07.2008)

Aber auch in Wien wurde aufgerüstet. Große öffentliche Plätze wie zum Beispiel der Stephansplatz wurden mit Kameras ausgestattet. Auch Bahnhöfe, U-Bahnstationen und die U-Bahnen selbst wurden mit Überwachungskameras verseht. Ganz abgesehen von den Fanmeilen und den Stadien… Egal wo man sich also zu dieser Zeit in der Öffentlichkeit Wiens bewegte, man konnte sicher sein dass man beobachtet wird.

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Doch dies war noch nicht genug des Guten. In der Schweiz wurde die Datenbank „HOOGAN“ angelegt. In dieser Hooligandatenbank wurden alle Fans verzeichnet, die bereits einmal auffällig geworden waren, Stadionverbot erhalten hatten oder Ähnliches. Diese Personen wurden dann im Vorhinein von Veranstaltungen rund um die EM ausgeschlossen. So steht in der „Fanfest Ordnung“ eines Schweizer Ortes: „§ 2

Einlassverfahren

(1) Besucher, gegen die ein für Sportveranstaltungen örtlich oder bundesweit

wirksames Stadionverbot ausgesprochen worden ist, sind vom Betreten des

Fan Fest Geländes ausgeschlossen. Sie werden vom Kontroll- und

Ordnungsdienst des Veranstalters, von den Dienstkräften der

Ordnungsbehörden oder von der Polizei zurückgewiesen oder vom Gelände verwiesen, wenn sie dort angetroffen werden.“ (http://www.98.7radioemscherlippe.de/fileadmin/upload/Aktionsbilder/Fanfest/Fan-Fest_Hausordnung.pdf, 30.05.2008) Diese Maßnahme wurde bereits 2004 als die EM in Porto stattfand getroffen. Damals verweigerte England ca. 2000 Hooligans die Ausreise zur Euro. (Vgl.: http://www.news.at/articles/0423/205/83561/daheim-england-2-000-hooligans-ausreise-euro, 06.06.2004). Auch in Österreich ist eine ähnliche Datenbank vorhanden. Nachdem hier ein Gesetz für die „Präventivhaft“ von Hooligans abgelehnt wurde, waren die verzeichneten Fans dazu gezwungen einer behördlichen Ladung zu einer Polizeiinspektion Folge zu leisten. Dort wurde ihnen ausführlich erklärt wie man sich zu verhalten habe. Bei Nichterscheinen drohte man mit Verwaltungsstrafen oder Festnahmen. (Vgl.: http://derstandard.at/?url=/?id=2949926, 24.06.2007)

Rechtsanwalt Richard Soyer kritisierte damals diesen Beschluss und meinte dazu: „Die Einschränkung der Bewegungsfreiheit kollidiere zudem mit dem verfassungsrechtlich garantierten Freiheitsrechten. Denn auch wenn jemand in der Vergangenheit randaliert habe, sei es wohl unmöglich, eine zuverlässige Gefährlichkeitsprognose hinsichtlich zukünftiger Taten aller registrierten Hooligans zu erstellen.“ (http://derstandard.at/?url=/?id=2949926, 24.06.2007)

Meine persönliche Erfahrung mit solchen Datenbanken lässt mich diesen eher kritisch gegenüberstehen. Denn nicht zur zur EM sondern auch im normalen Fußballalltag werden auffällige Fans verzeichnet. Leider sind mir schon mehrere Personen bekannt, die zu Unrecht aufgeschrieben wurden und dadurch Probleme bekamen. Für mich stellt sich also die Frage wie ausgereift ein solches System bei uns bereits ist, bzw. wie sauber gearbeitet werden kann.

Fazit:

Ähnlichkeiten zu Ph. K. Dick:

„Drohnen“ – Spinnen?

Prävention, genaue Vorhersage?

Ziel solcher Maßnahmen

Ergebnis?!

Kontrolle wie sauber gearbeitet wird?


In The Minority Report scheiterte schlussendlich ein solches System. Bei der Euro kam es kaum zu gröberen Zwischenfällen. Ist dies nun ein Zeichen dafür, dass solche präventiven Maßnahmen immer wichtiger werden um Sicherheit zu gewährleisten? Wie können wir mit einem solchen System umgehen, bzw. wie weit kann man kontrollieren ob sauber gearbeitet wird und keine Unschuldigen zu Schaden kommen?

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Quellen:

http://salzburg.orf.at/stories/206419, 16.07.2007, Zugriff am 27.04.2009

http://www.news.ch/Die+Drohnenfluege+ueber+den+Host+Cities/313336/detail.htm, 02.07.2008, Zugriff am 27.04.2009

http://www.98.7radioemscherlippe.de/fileadmin/upload/Aktionsbilder/Fanfest/Fan-Fest_Hausordnung.pdf, 30.05.2008, Zugriff am 26.04.2009

http://www.news.at/articles/0423/205/83561/daheim-england-2-000-hooligans-ausreise-euro, 06.06.2004, Zugriff am 26.04.2009

http://derstandard.at/?url=/?id=2949926, 24.06.2007, Zugriff am 27.04.2009 (Orig. Michael, Simoner, „Hooligan-Gesetz bedenklich“, DER STANDARD, 07.07.2007)

Fragt man seine Mitmenschen, was sie von Überwachung im Allgemeinen halten, fallen die Antworten vielfältig aus. Die Meinungen gehen polarisiert auseinander. Manch eine(r) hält es für unnötig und unvorstellbar zu überwachen, wohingegen es die echten ÜberwachungsfreundeInnen gibt. Natürlich beziehen sich diese Einschätzungen meist nur auf die Überwachung anderer Mitbürger. Erkundigt man sich nämlich nach den Gefühlen, die das Überwachtsein verursacht, sind diese überwiegend negativ und reichen von Unwohlsein über Verfolgungswahn, bis hin zu Beklemmung und Freiheitsberaubung.
Die Überwachungsszenarien sind vielfältig: Verkehrsübergänge, Ampeln, U-Bahnstationen, Bahnhöfe, öffentliche Plätze, öffentliche Verkehrsmittel, Hauseingängen, Einkaufszentren, Supermärkte und private Grundstücke sind Überwachungsbrennpunkte. Der Überwachung scheinen immer weniger Grenzen gesetzt, bzw. sinkt die Hemmschwelle zusehends und die Verwunderung darüber scheint sich offiziell in eben diesen verweichlichten Grenzen zu halten. Zwar werden immer wieder Stimmen laut, die die allgemeine Überwachung kritisch beäugen und sich gegen einen Überwachungsstaat aussprechen, doch beschränken sich diese Positionen auf private Initiativen, so scheint es.
Überwachung – Über – Wachen. Wachen, worüber? Wachen darüber, dass die Nacht schläft, oder der Tag wacht? Wer wacht eigentlich über wen? Wachen alle – über alle? Wer sind die Bewachten? Wer hat das Recht zu Überwachen? Oder ist es kein Recht, sondern eine Strafe? Wen interessieren die Alltäglichkeiten, die sich vor einer Überwachungskamera unablässig ereignen? Und wenn einmal etwas passiert, dauert es bis Hilfe naht und das zu Überwachende sich in Wohlgefallen aufgelöst hat und alles seinen gewohnten zu überwachenden Gang nimmt.
Eine kleine Anekdote aus meiner eigenen Erfahrung: Vor einiger Zeit parkte ich mein altes Fahrrad, im Eingangsbereich der U- Bahnstation Pilgramgasse in Wien. In dem Wissen, dass es sich um ein Objekt der Begierde handelte, sorgte ich dafür, dass mein Gefährt im Blickwinkel der Überwachungskameras vor Ort aufgestellt ist. Dank meiner vorausschauenden Vorsorgemaßnahme ließ ich mir mit der Abholung des Rades eine Nacht Zeit. Und siehe da, wenige Stunden später- es war noch am frühen Abend des darauffolgenden Tages, war mein Fahrrad weg.

Quietly Anderton said: “I am proud. Thirty years ago I worked out the theory – back in the days when the self-seekers were thinking in terms of quick raids on the stock market. I saw something legitimate ahead-something of tremendous social value.” – Philip K. Dick, The Minority Report

1.
Jean Baudrillard, französischer Medientheroretiker, Philosoph, Poststrukturalist; kurz: Textproduzent, entwickelt in den 1970er Jahren eine sehr spezielle Simulationstheorie: Die Zeichen, auf denen unsere Mediengesellschaft aufbaut, beziehen sich auf keinen realen Referenten mehr, sondern weisen lediglich auf ein weiteres Simulakrum hin. War in der Repräsentation noch das „Prinzip der Äquivalenz zwischen Zeichen und Realem“ (Baudrillard 1978: 14) gegeben, so hat in der Simulation das Zeichen jeden Wert verloren und keine Referenz mehr im Realen. Mit der für Baudrillard gegebenen Unmöglichkeit, zwischen Simulakrum und Realität zu unterscheiden, ist auch die Möglichkeit einer kausalen oder konsekutiven Trennung verschwunden: Die Frage nach dem „Was war zuerst da?“ erübrigt sich, da die Logik von Ursache und Wirkung in der Medienwelt nicht mehr anwendbar ist.

2.
In der Münchener S-Bahn sind seit Mitte 2008 Überwachungskameras montiert. Eine Abschreckungsmaßnahme, denn „das Material wird nur dann gesichtet, wenn wirklich etwas passiert ist, oder Hinweise bei der Polizei eingegangen sind.“ Die Meinungen dazu sind geteilt, „‚Prävention statt Überwachung’ fordert ein S-Bahn-Reisender (…). Ein ‚ungutes Gefühl’ habe er dabei.“
Fernab von der Diskussion um Abschreckung oder Überwachung sind die Kameras von nun an vor allem eines: Infrastruktur.

3.
In naher Zukunft sind Schwerverbrechen nicht mehr möglich. „Precrime“ nennt Philip K. Dick sein System in der Kurzgeschichte The Minority Report, ein System basierend auf den Zukunftsvisionen dreier Precogs, „idiots“, deren übernatürliche Fähigkeiten, Teile der Zukunft vorauszusehen, in speziellen Trainingscamps kultiviert werden, um anschließend zum Wohle der Gesellschaft eingesetzt zu werden. Dicks Kurzgeschichte lässt einiges an Interpretationsspielraum bezüglich der Herkunft dieser Fähigkeiten offen; eine Spielart der Natur, hyperbegabte Mutanten scheinen am Wahrscheinlichsten.
Indem er sich hier um eine klare Aussage drückt, umschifft Dick hier einen wesentlichen Aspekt seiner Zukunftskonstruktion und lässt eine interessante Fragestellung zu: Was war zu erst da, die Henne, oder das Ei? Die Fähigkeit, Verbrechen durch die zufällige Geburt dahingehend talentierter Mutanten vorauszusehen, oder der Wunsch der Gesellschaft und die darauf folgende Ausbildung der Precogs?

4.
Zurück zu Baudrillard:
„Das Charakteristische an der Simulation ist die Präzession des Modells, aller Modelle, die über den winzigen Tatsachen kreisen. Zunächst gibt es die Modelle und ihr Zirkulieren (…) sie konstituieren das wirkliche magnetische Feld der Ereignisse.“ (Baudrillard 1978: S. 30)
Wie entsteht nun ein reales Ereignis, wenn doch alles nur mehr in Simulakra existiert?
Mehr oder weniger zufällig, meint Baudrillard, wenn sich die verschiedenen Modelle kreuzen, kann auch etwas tatsächlich Reales passieren: „Die Tatsachen besitzen keine eigene Flugbahn, sie entstehen im Schnittpunkt von Modellen, so dass eine einzige Tatsache von allen Modellen gleichzeitig erzeugt werden kann.“ (S. 31) So hat ein realer Ereignis vielleicht wirklich eine Ursache – aber es ist unmöglich und fruchtlos diese finden zu wollen, weswegen jede Interpretation eines Ereignisses gleichberechtigt möglich ist: „Alle Interpretationen sind wahr; ihre Wahrheit besteht darin, sich in einem erweiterten Kreislauf auszutauschen, und zwar nach Maßgabe von Modellen, denen sie selbst vorgeordnet sind.“ (ebd.)

5.
Ein Ereignis entsteht also als Schnittpunkt verschiedener Simulationsmodelle.
Wir haben im Falle von München:
a) die REALE Existenz von Kameras in Münchner S-Bahnen.
b) die SIMULIERTE Überwachung (kein Mensch sieht die Bilder der Überwachungskameras an).
c) die irreale, nicht greifbare und somit SIMULIERTE Angst der S-Bahn-Benutzer.
Mit Baudrillard sind nun verschiedene Logiken möglich:
Genauso wie b) und c) Produkte von a) sind, ist auch der Umkehrschluss möglich: Da etwas Simuliertes nicht mehr zeitlich zu datieren ist, wird genauso a) erst durch b) und c) bedingt. Die Simulationen kreuzen sich und bringen die Realexistenz der Kameras hervor.

6.
Sobald wir auch den Fall a) als simuliert betrachten wollen (effektiv wird ja niemand überwacht, die Kameras dienen der Abschreckung und sind somit lediglich als Zeichen von Zeichen, also auch als Simulakrum zu betrachten) stellt sich die Frage, welches (reale?) Produkt d) im Falle des Schnittpunktes von a), b) und c) hervorkäme.
Vermutlich entweder
d1) eine gesteigerte Form der Infrastruktur. Die Existenz von Kameras, sowie das in den Menschen verankerte Angst- und Überwachungsbewusstsein ergeben das latente POTENZIAL der totalen Überwachung, das im Falle einer autoritären Machtübernahme nutzbar wäre
oder d2) der Fall von The Minority Report: die REALE totale Überwachung, die aber im täglichen Leben nicht manifest wird, weil sie selbst einen SIMULIERTEN Mord, eine Absicht, erkennt und bestraft.

7.
Weder im Falle d1) noch d2) ließe sich, dem Gesetz der Präzession der Simulakra zufolge, festmachen, ob das Potenzial zur Überwachung oder der Wille der totalitären Macht zur Überwachung zuerst kam; demzufolge auch nicht, ob die Precogs Auslöser, oder lediglich Symptom des Systems „Precrime“ sind.

„The three gibbering, fumbling creatures, with their enlarged heads and wasted bodies, were contemplating the future. The analytical machinery was recording prophecies, and as the three precog idiots talked, the machinery carefully listened.” – Philip K. Dick, The Minority Report

Quellen:

Baudrillard, Jean, Die Präzession der Simulakra. In: Ders., Agonie des Realen. Berlin: 1978, S. 7-69.

Dick, Philip K., The Minority Report. In: Ders., The Philip K. Dick Reader. New York: 1987, S. 323-354.

Röder, Pia, Schwarze Augen an der Decke. Kameras in Münchner S-Bahnen. Süddeutsche Zeitung, 22.07.2008; http://www.sueddeutsche.de/muenchen/702/302698/text/, Zugriff am 06.04.09