Im Sommer 2008 fand in Österreich und der Schweiz ein internationales Großereignis statt. Die Rede ist von der Fußball Europameisterschaft. Schon im Vorfeld viel diskutiert und ständig präsent in den Medien ist diese Veranstaltung wohl fast Jedem in Erinnerung geblieben. Ein friedlicher Ablauf und vor allem Sicherheit standen für die Veranstalter, Fans und Bürger der zwei Austragungsländer im Vordergrund. Es wurde zu verschiedensten Mitteln gegriffen um dies zu gewährleisten und einige davon erinnerten mich stark an die Verbrechensprävention, wie sie in The Minority Report besteht. Fand also letztes Jahr bereits etwas von Philip K. Dick’s Zukunftsvision eines gewaltfreien Lebens, hier mitten Österreich und der Schweiz, statt? Oder waren die Sicherheitsmaßnahmen die für die Euro 08 getroffen wurden völlig gerechtfertigt und notwendig, um ein friedliches Turnier stattfinden zu lassen? Genau mit diesen Fragen möchte ich mich nun beschäftigen und das Problem der Prävention am Beispiel der Fußball Europameisterschaft 2008 aufzeigen.

Bei meiner Recherche im Internet bin ich zu erst auf einige Zeitungsartikel gestoßen in denen der Einsatz von so genannten „Drohnen“ während der EM diskutiert wurde. So lautet eine Beschreibung dieser auf orf.at: „Die Flugdrohne sieht wie ein Spielzeug aus, ist aber ein High-Tech-Überwachungsflieger. Sie schafft bis zu 500 Meter Höhe. Die Drohne kann ferngesteuert werden, aber auch mit GPS-Hilfe von ganz allein auf einer Position in der Luft stehen. Sie lässt sich extrem nah an Gebäude heran fliegen und überträgt mit einer Kamera die Bilder auf einen Monitor am Boden.“ drohne_luft153_small(http://salzburg.orf.at/stories/206419, 16.07.2007) Allerdings ist das Filmen von Personen in Österreich nur eingeschränkt erlaubt. In der Schweiz kamen genau diese Drohnen jedoch zum Einsatz. Die Kantone konnten selbst entscheiden wann und wie oft sie die Überwachung aus der Luft zum Einsatz brachten. Das Videomaterial wurde jedoch nicht aufbewahrt. (Vgl.:http://www.news.ch/Die+Drohnenfluege+ueber+den+Host+Cities/313336/detail.htm, 02.07.2008)

Aber auch in Wien wurde aufgerüstet. Große öffentliche Plätze wie zum Beispiel der Stephansplatz wurden mit Kameras ausgestattet. Auch Bahnhöfe, U-Bahnstationen und die U-Bahnen selbst wurden mit Überwachungskameras verseht. Ganz abgesehen von den Fanmeilen und den Stadien… Egal wo man sich also zu dieser Zeit in der Öffentlichkeit Wiens bewegte, man konnte sicher sein dass man beobachtet wird.

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Doch dies war noch nicht genug des Guten. In der Schweiz wurde die Datenbank „HOOGAN“ angelegt. In dieser Hooligandatenbank wurden alle Fans verzeichnet, die bereits einmal auffällig geworden waren, Stadionverbot erhalten hatten oder Ähnliches. Diese Personen wurden dann im Vorhinein von Veranstaltungen rund um die EM ausgeschlossen. So steht in der „Fanfest Ordnung“ eines Schweizer Ortes: „§ 2

Einlassverfahren

(1) Besucher, gegen die ein für Sportveranstaltungen örtlich oder bundesweit

wirksames Stadionverbot ausgesprochen worden ist, sind vom Betreten des

Fan Fest Geländes ausgeschlossen. Sie werden vom Kontroll- und

Ordnungsdienst des Veranstalters, von den Dienstkräften der

Ordnungsbehörden oder von der Polizei zurückgewiesen oder vom Gelände verwiesen, wenn sie dort angetroffen werden.“ (http://www.98.7radioemscherlippe.de/fileadmin/upload/Aktionsbilder/Fanfest/Fan-Fest_Hausordnung.pdf, 30.05.2008) Diese Maßnahme wurde bereits 2004 als die EM in Porto stattfand getroffen. Damals verweigerte England ca. 2000 Hooligans die Ausreise zur Euro. (Vgl.: http://www.news.at/articles/0423/205/83561/daheim-england-2-000-hooligans-ausreise-euro, 06.06.2004). Auch in Österreich ist eine ähnliche Datenbank vorhanden. Nachdem hier ein Gesetz für die „Präventivhaft“ von Hooligans abgelehnt wurde, waren die verzeichneten Fans dazu gezwungen einer behördlichen Ladung zu einer Polizeiinspektion Folge zu leisten. Dort wurde ihnen ausführlich erklärt wie man sich zu verhalten habe. Bei Nichterscheinen drohte man mit Verwaltungsstrafen oder Festnahmen. (Vgl.: http://derstandard.at/?url=/?id=2949926, 24.06.2007)

Rechtsanwalt Richard Soyer kritisierte damals diesen Beschluss und meinte dazu: „Die Einschränkung der Bewegungsfreiheit kollidiere zudem mit dem verfassungsrechtlich garantierten Freiheitsrechten. Denn auch wenn jemand in der Vergangenheit randaliert habe, sei es wohl unmöglich, eine zuverlässige Gefährlichkeitsprognose hinsichtlich zukünftiger Taten aller registrierten Hooligans zu erstellen.“ (http://derstandard.at/?url=/?id=2949926, 24.06.2007)

Meine persönliche Erfahrung mit solchen Datenbanken lässt mich diesen eher kritisch gegenüberstehen. Denn nicht zur zur EM sondern auch im normalen Fußballalltag werden auffällige Fans verzeichnet. Leider sind mir schon mehrere Personen bekannt, die zu Unrecht aufgeschrieben wurden und dadurch Probleme bekamen. Für mich stellt sich also die Frage wie ausgereift ein solches System bei uns bereits ist, bzw. wie sauber gearbeitet werden kann.

Fazit:

Ähnlichkeiten zu Ph. K. Dick:

„Drohnen“ – Spinnen?

Prävention, genaue Vorhersage?

Ziel solcher Maßnahmen

Ergebnis?!

Kontrolle wie sauber gearbeitet wird?


In The Minority Report scheiterte schlussendlich ein solches System. Bei der Euro kam es kaum zu gröberen Zwischenfällen. Ist dies nun ein Zeichen dafür, dass solche präventiven Maßnahmen immer wichtiger werden um Sicherheit zu gewährleisten? Wie können wir mit einem solchen System umgehen, bzw. wie weit kann man kontrollieren ob sauber gearbeitet wird und keine Unschuldigen zu Schaden kommen?

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Quellen:

http://salzburg.orf.at/stories/206419, 16.07.2007, Zugriff am 27.04.2009

http://www.news.ch/Die+Drohnenfluege+ueber+den+Host+Cities/313336/detail.htm, 02.07.2008, Zugriff am 27.04.2009

http://www.98.7radioemscherlippe.de/fileadmin/upload/Aktionsbilder/Fanfest/Fan-Fest_Hausordnung.pdf, 30.05.2008, Zugriff am 26.04.2009

http://www.news.at/articles/0423/205/83561/daheim-england-2-000-hooligans-ausreise-euro, 06.06.2004, Zugriff am 26.04.2009

http://derstandard.at/?url=/?id=2949926, 24.06.2007, Zugriff am 27.04.2009 (Orig. Michael, Simoner, „Hooligan-Gesetz bedenklich“, DER STANDARD, 07.07.2007)

Fragt man seine Mitmenschen, was sie von Überwachung im Allgemeinen halten, fallen die Antworten vielfältig aus. Die Meinungen gehen polarisiert auseinander. Manch eine(r) hält es für unnötig und unvorstellbar zu überwachen, wohingegen es die echten ÜberwachungsfreundeInnen gibt. Natürlich beziehen sich diese Einschätzungen meist nur auf die Überwachung anderer Mitbürger. Erkundigt man sich nämlich nach den Gefühlen, die das Überwachtsein verursacht, sind diese überwiegend negativ und reichen von Unwohlsein über Verfolgungswahn, bis hin zu Beklemmung und Freiheitsberaubung.
Die Überwachungsszenarien sind vielfältig: Verkehrsübergänge, Ampeln, U-Bahnstationen, Bahnhöfe, öffentliche Plätze, öffentliche Verkehrsmittel, Hauseingängen, Einkaufszentren, Supermärkte und private Grundstücke sind Überwachungsbrennpunkte. Der Überwachung scheinen immer weniger Grenzen gesetzt, bzw. sinkt die Hemmschwelle zusehends und die Verwunderung darüber scheint sich offiziell in eben diesen verweichlichten Grenzen zu halten. Zwar werden immer wieder Stimmen laut, die die allgemeine Überwachung kritisch beäugen und sich gegen einen Überwachungsstaat aussprechen, doch beschränken sich diese Positionen auf private Initiativen, so scheint es.
Überwachung – Über – Wachen. Wachen, worüber? Wachen darüber, dass die Nacht schläft, oder der Tag wacht? Wer wacht eigentlich über wen? Wachen alle – über alle? Wer sind die Bewachten? Wer hat das Recht zu Überwachen? Oder ist es kein Recht, sondern eine Strafe? Wen interessieren die Alltäglichkeiten, die sich vor einer Überwachungskamera unablässig ereignen? Und wenn einmal etwas passiert, dauert es bis Hilfe naht und das zu Überwachende sich in Wohlgefallen aufgelöst hat und alles seinen gewohnten zu überwachenden Gang nimmt.
Eine kleine Anekdote aus meiner eigenen Erfahrung: Vor einiger Zeit parkte ich mein altes Fahrrad, im Eingangsbereich der U- Bahnstation Pilgramgasse in Wien. In dem Wissen, dass es sich um ein Objekt der Begierde handelte, sorgte ich dafür, dass mein Gefährt im Blickwinkel der Überwachungskameras vor Ort aufgestellt ist. Dank meiner vorausschauenden Vorsorgemaßnahme ließ ich mir mit der Abholung des Rades eine Nacht Zeit. Und siehe da, wenige Stunden später- es war noch am frühen Abend des darauffolgenden Tages, war mein Fahrrad weg.

Quietly Anderton said: “I am proud. Thirty years ago I worked out the theory – back in the days when the self-seekers were thinking in terms of quick raids on the stock market. I saw something legitimate ahead-something of tremendous social value.” – Philip K. Dick, The Minority Report

1.
Jean Baudrillard, französischer Medientheroretiker, Philosoph, Poststrukturalist; kurz: Textproduzent, entwickelt in den 1970er Jahren eine sehr spezielle Simulationstheorie: Die Zeichen, auf denen unsere Mediengesellschaft aufbaut, beziehen sich auf keinen realen Referenten mehr, sondern weisen lediglich auf ein weiteres Simulakrum hin. War in der Repräsentation noch das „Prinzip der Äquivalenz zwischen Zeichen und Realem“ (Baudrillard 1978: 14) gegeben, so hat in der Simulation das Zeichen jeden Wert verloren und keine Referenz mehr im Realen. Mit der für Baudrillard gegebenen Unmöglichkeit, zwischen Simulakrum und Realität zu unterscheiden, ist auch die Möglichkeit einer kausalen oder konsekutiven Trennung verschwunden: Die Frage nach dem „Was war zuerst da?“ erübrigt sich, da die Logik von Ursache und Wirkung in der Medienwelt nicht mehr anwendbar ist.

2.
In der Münchener S-Bahn sind seit Mitte 2008 Überwachungskameras montiert. Eine Abschreckungsmaßnahme, denn „das Material wird nur dann gesichtet, wenn wirklich etwas passiert ist, oder Hinweise bei der Polizei eingegangen sind.“ Die Meinungen dazu sind geteilt, „‚Prävention statt Überwachung’ fordert ein S-Bahn-Reisender (…). Ein ‚ungutes Gefühl’ habe er dabei.“
Fernab von der Diskussion um Abschreckung oder Überwachung sind die Kameras von nun an vor allem eines: Infrastruktur.

3.
In naher Zukunft sind Schwerverbrechen nicht mehr möglich. „Precrime“ nennt Philip K. Dick sein System in der Kurzgeschichte The Minority Report, ein System basierend auf den Zukunftsvisionen dreier Precogs, „idiots“, deren übernatürliche Fähigkeiten, Teile der Zukunft vorauszusehen, in speziellen Trainingscamps kultiviert werden, um anschließend zum Wohle der Gesellschaft eingesetzt zu werden. Dicks Kurzgeschichte lässt einiges an Interpretationsspielraum bezüglich der Herkunft dieser Fähigkeiten offen; eine Spielart der Natur, hyperbegabte Mutanten scheinen am Wahrscheinlichsten.
Indem er sich hier um eine klare Aussage drückt, umschifft Dick hier einen wesentlichen Aspekt seiner Zukunftskonstruktion und lässt eine interessante Fragestellung zu: Was war zu erst da, die Henne, oder das Ei? Die Fähigkeit, Verbrechen durch die zufällige Geburt dahingehend talentierter Mutanten vorauszusehen, oder der Wunsch der Gesellschaft und die darauf folgende Ausbildung der Precogs?

4.
Zurück zu Baudrillard:
„Das Charakteristische an der Simulation ist die Präzession des Modells, aller Modelle, die über den winzigen Tatsachen kreisen. Zunächst gibt es die Modelle und ihr Zirkulieren (…) sie konstituieren das wirkliche magnetische Feld der Ereignisse.“ (Baudrillard 1978: S. 30)
Wie entsteht nun ein reales Ereignis, wenn doch alles nur mehr in Simulakra existiert?
Mehr oder weniger zufällig, meint Baudrillard, wenn sich die verschiedenen Modelle kreuzen, kann auch etwas tatsächlich Reales passieren: „Die Tatsachen besitzen keine eigene Flugbahn, sie entstehen im Schnittpunkt von Modellen, so dass eine einzige Tatsache von allen Modellen gleichzeitig erzeugt werden kann.“ (S. 31) So hat ein realer Ereignis vielleicht wirklich eine Ursache – aber es ist unmöglich und fruchtlos diese finden zu wollen, weswegen jede Interpretation eines Ereignisses gleichberechtigt möglich ist: „Alle Interpretationen sind wahr; ihre Wahrheit besteht darin, sich in einem erweiterten Kreislauf auszutauschen, und zwar nach Maßgabe von Modellen, denen sie selbst vorgeordnet sind.“ (ebd.)

5.
Ein Ereignis entsteht also als Schnittpunkt verschiedener Simulationsmodelle.
Wir haben im Falle von München:
a) die REALE Existenz von Kameras in Münchner S-Bahnen.
b) die SIMULIERTE Überwachung (kein Mensch sieht die Bilder der Überwachungskameras an).
c) die irreale, nicht greifbare und somit SIMULIERTE Angst der S-Bahn-Benutzer.
Mit Baudrillard sind nun verschiedene Logiken möglich:
Genauso wie b) und c) Produkte von a) sind, ist auch der Umkehrschluss möglich: Da etwas Simuliertes nicht mehr zeitlich zu datieren ist, wird genauso a) erst durch b) und c) bedingt. Die Simulationen kreuzen sich und bringen die Realexistenz der Kameras hervor.

6.
Sobald wir auch den Fall a) als simuliert betrachten wollen (effektiv wird ja niemand überwacht, die Kameras dienen der Abschreckung und sind somit lediglich als Zeichen von Zeichen, also auch als Simulakrum zu betrachten) stellt sich die Frage, welches (reale?) Produkt d) im Falle des Schnittpunktes von a), b) und c) hervorkäme.
Vermutlich entweder
d1) eine gesteigerte Form der Infrastruktur. Die Existenz von Kameras, sowie das in den Menschen verankerte Angst- und Überwachungsbewusstsein ergeben das latente POTENZIAL der totalen Überwachung, das im Falle einer autoritären Machtübernahme nutzbar wäre
oder d2) der Fall von The Minority Report: die REALE totale Überwachung, die aber im täglichen Leben nicht manifest wird, weil sie selbst einen SIMULIERTEN Mord, eine Absicht, erkennt und bestraft.

7.
Weder im Falle d1) noch d2) ließe sich, dem Gesetz der Präzession der Simulakra zufolge, festmachen, ob das Potenzial zur Überwachung oder der Wille der totalitären Macht zur Überwachung zuerst kam; demzufolge auch nicht, ob die Precogs Auslöser, oder lediglich Symptom des Systems „Precrime“ sind.

„The three gibbering, fumbling creatures, with their enlarged heads and wasted bodies, were contemplating the future. The analytical machinery was recording prophecies, and as the three precog idiots talked, the machinery carefully listened.” – Philip K. Dick, The Minority Report

Quellen:

Baudrillard, Jean, Die Präzession der Simulakra. In: Ders., Agonie des Realen. Berlin: 1978, S. 7-69.

Dick, Philip K., The Minority Report. In: Ders., The Philip K. Dick Reader. New York: 1987, S. 323-354.

Röder, Pia, Schwarze Augen an der Decke. Kameras in Münchner S-Bahnen. Süddeutsche Zeitung, 22.07.2008; http://www.sueddeutsche.de/muenchen/702/302698/text/, Zugriff am 06.04.09